Die Rheinpfalz, 20.06.2015

Muskelpakete sind nicht alles

Das marotte Figurentheater entführt im Dürkheimer Haus Catoir mit “Mein Freund Wickie” in die abenteuerliche Welt der Wikinger

Handfest und lebhaft geht es bei den Wikingern zu. Das haben kleine und große Besucher am Donnerstag im Haus Catoir in Bad Dükheim erfahren. Das marotte Figurentheater aus Karlsruhe zeigte dort sein 2008 produziertes Stuck “Mein Freund Wickie“. Dieses entstand nach dem I964 erschienenen Kinderbuch “Wickie und die starken Männer“ von Runer Jonsson. Die Geschichte um den cleveren Wikingerjungen Wickie, der seine Truppe mehr als einmal aus einer misslichen Inge befreit. zählt zu den beliebtesten Stücken im “marotte“-Kinderprogramm.

So ungestüm sind die fahrenden Männer aus Flake im hohen Norden, dass sie sich ohne viel nachzudenken zu neuen Taten aufmachen. Gefährlich stark sollen sie sein. Doch muss man sich wirklich von ihnen fürchten? Wer die ausdrucksvollen Tischfiguren des marotte Figurentheaters sieht, ist jedenfalls von ihnen begeistert: Struppig, langhaarig und rau sehen sie aus. Dabei steht jedes Gesicht der bärenstarken Kerle für einen eigenständigen Charakter mit kleinen Schwächen.

Wenn Carsten Dittrich und Claudia Olma die Stofffiguren an Rückengriff oder Genickstab führen und sie mit vielfältigen Stimmen zum Reden bringen, dann wird eine ganz eigene Art von Wikingern lebendig. Da ist zum Beispiel der Dorfhäuptling Halvar. Er protzt mit Mut und Muskeln und doch muss er in entscheidenden Momenten vor seinem Sohn Wickie die Segel streichen. Von diesem Kerlchen wiederum wissen die Kinder: Für einen Wikinger verhält er sich passend ängstlich, aber dafür ist er gewitzt und pfiffig.

Allein wie Marotte die witzige Szene des Steinwettbewerbs auf die Bühne bringt, ist herrlich anzuschauen: Die Beweglichkeit der Puppen nutzen die Figurenspieler geschickt und wechseln noch dazu wirkungsvoll die Bühnenperspektive:  Wenn Halvar beim mühsamen Steineschleppen auf der anderen Bergseite angekommen ist, erscheint er als kleine Flachfigur oben auf der Bühnenkulisse – samt der aufgehäuften Steine.

Bemerkenswert ist das Zusammenspiel des Bühnenduos. Carsten Dittrich und Claudia Olma arbeiten zwar bestens miteinander, aber vor ihrem Publikum necken, hänseln oder widersprechen sie sich immer wieder. Ausdrucksstarkes Mienenspiel gehört dazu – ein spöttisch verzogener Mund sagt da schon alles.

Die Bühne von Matthias Hensel wird mit Gestellen aus Birkenholz und Tauen so gestaltet, dass zwischen den knappen Requisiten viel Raum für die Fantasie bleibt. Beispielsweise wandeln sich die Holzbauten im Handumdrehen zu einer stolzen Burg in Frankreich, wohin es Halvars Schiffsmannschaft verschlägt. Doch bei dem “reichen Frank”, der als Klappmaulfigur auftritt, erlehbt der rothaarige Wikingerchef mal wieder sein blaues Wunder.

Muskeln alleine reichen nicht – auch ein kluges Köpfchen ist nötig, um erfolgreich zu sein.

Dabei wird es so spannend, dass die Kinder im Saal mucksmäuschenstill zuschauen. Halvar schleicht sich leise an die Burg und bekommt dabei vor der Figurenspielerin einen Riesenschreck. Doch die beruhigt: “lch spieI‘ doch nur die Füße!“ Solche überraschenden Übergange zwischen der szenischen Ebene und den Spielen machen das Stück unter Regie von Thomas Hansel umso reizvoller.

Wird zwischendurch auf der Bühne umgebaut, begleiten sich die Spieler auf dem Kazoo, einem kleinen Membranophon, und bringen mit lustig quäkenden Klangen bekannte Melodien hervor. Die Stimmung auf dem Meer, wenn die Wikinger durch brausende Stürme fahren, wird schön wiedergegeben. Und als zuletzt das Segel des schrecklichen Sven in Flammen aufgeht, zeigt sich noch einmal: Muskelpakete sind nicht alles. Es braucht auch einen klugen Kopf – so einen wie ihn der kleine Wickie hat.

 

Sigrid Ladwig