BNN, 16.04.1991

Eine hübsche und durch und durch amüsante Ferkelei

“marotte” zeigt als seine jüngste Produktion das Kinderstück “Die drei kleinen Schweinchen”

Zuschauerraum dunkel, Spot an! Der schwarze Vorhang bewegt sich geheimnisvoll. Schwupp! Eine rote Nase guckt hervor – und schwuppl! Das ganze Clowngesicht erscheint. “Hallo!“ zirpt es allerliebst, “Hallo, Kinder!“ Die Allerkleinsten sind angesprochen, Theater für Menschen von drei  Jahren an “marotte”, das Figurentheater Karlsruhe in der Kaiserallee, hat ein neues Stück herausgebracht: “Die drei kleinen Schweinchen”.

Für viele Kinder sind sie alte Bekannte, die drei Ferkelchen, die, an Leib und Leben immer wieder bedroht vom bösen Wolf, diesem aber auch immer wieder entwischen. Die alte Geschichte wird neu erzählt. Erzähler ist ein Clown. Aber keiner von den groben und lauten Gesellen, die im Zirkus oft zarte Kinderseelen verschrecken. Thomas Hänsel gestalte seinen Cloun liebenswert und leise. Zärtlich begrüßt er die drei kleinen “Hauptdarsteller” des Stückes, die er in einem Koffer gleich mitgebracht hat.

Zilli, Billi und Willi heißen sie, sind rosa und haben eine Steckdosennase und ein Ringelschwänzchen, wie sich das für kleinen Schweinchen gehört. Bevor der böse Wolf auftritt, dürfen sie erst noch ein wenig spielen. Sogleich enthüllt sich die Raffinesse des Bühnenbildes, entworfen von Rainer Schicktanz, einem Gast aus Dresden. Das alte Fahrrad, das da auf der Bühne steht, ist beileibe nicht einfach nur ein fahrbarer Untersatz für Clowns! Ruckzuck wird aus dem Vorderrad ein Karussell mit fliegenden bunten Bändern, aus dem Fahrradkorb eine Schaukel und aus den Pedalen ein Riesenrad. Schweinchen und Zuschauer haben größten Spaß.

Bei dieser fröhlich-solidarischen Gemeinschaft hat auch der Wolf keine Chance. Die erblickt er erst, als ein geplanter Hausbau. Zwietracht säht unter die vergnügte Schweinchenschar. Zilli will nämlich ein gemütliches Haus aus Stroh, Billi hätte es lieber in Holz, und Willi schwört auf Stein, stabil und unvergänglich. Jedem also sein Eigenheim – das Fahrrad macht‘s möglich und liefert sogar noch den Strom für Willis Wohnzimmerlampe.

Jetzt ist seine große Stunde gekommen: Der Wolf mit Klappmaul und Trenchcoat tritt auf – in Ausstattung und Darstellung eine gelungene Figur. “Wegpusten! Die pust’ ich alle weg!“ Die “Puste“ findet sich auch im unerschöpflichen Koffer, der Sturm kann also losgehen. Strohhaus und Holzhaus wirbeln durch die Lüfte, einzig das Steinerne hat Bestand und dient fortan als Heim für Willi und seine obdachlosen Geschwister. Ein bißchen Stroh, ein  bißchen Holz, die Wohnqualität steigt und alle sind’s zufrieden. Der böse Wolf indes . . . er ist geplatzt, die Puste ist ihm ausgegangen.

Dem Regisseur Hol er Friedrich ist eine einfühlsame und kindägemäße Inszenierung gelungen. Die Darstellungsformen sind vielfältig ohne unübersichtlich zu werden. Er hat mit viel Phantasie und manchmal sogar mit einer kindlichen Genügsamkeit gearbeitet. Da können Häuser fliegen und  Wölfe platzen – es ist verblüffend einfach. Die kleinen Zuschauer können die Handlung mitgestalten. Das “elterndurchsetzte” Premierenpublikum schöpfte diese Möglichkeit nicht recht aus, doch das schmälerte das Vergnügen keineswegs.

Hille Franke