Mitteldeutsche Zeitung, 11.06.1993

Amerikanischer Igel war einfach schneller

Karlsruher Truppe spielte mit Kindern “Hase und Igel”

Einen Seitenhieb verabreichte das Karlsruher Figurentheater “marotte” gestern bunthemdigen, fotoverrückten Touristen aus Amerika. “Hase und Igel” wollten die Gast-Spieler eigentlich auf die Bühne des Puppentheaters bringen. Stattdessen stolperte ein Zoo-Wärter in den Saal, der ganze zwei Tiere präsentieren konnte: Hase und Igel. Dem Kameras schwenkenden US-Touristen knöpfte er das Kleingeld ab und verkaufte ihm dann den Igel als brüllenden Löwen und den Hasen als kasprigen Affen. Begründung: “Amerikaner merken eh’ nischt! ”

Denkste, Polaroid-Fotos entlarvten den Schwindel noch an Ort und Stelle, und der Ami erteilte dem Deutschen eine Lektion in Marketing: “In Amerika würden wir bei so wenigen Tieren eine Show machen.” “Eine Show? Soll ich etwa das Märchen vom Hase und Igel spielen?” Und nach dem begeisterten Ja-Gebrüll aus dem Publikum lernte der kauderwelschende Tourist deutsches Märchengut kennen und spielen.

Mit lockeren Sprüchen, akrobatischen Verrenkungen und belebenden Grimm-Variationen peppten Hase (Wärter Siegmar Körner) und Igel (US-Tourist Thomas Hänsel) die altbekannte Wettlauf-Geschichte auf, zauberten eine witzige Schau, die das kindliche Publikum begeisterte. Gekonnt wurde es in das Trick-Geschehen einbezogen, nahm vor allem Igel-Spieler Hänsel die zahlreichen Kinder-Zurufe auf und improvisierte passende Reaktionen. Ganz nebenbei bekamen die Kleinen noch eine Aufklärungsstunde: Lange tobte der Streit, woran denn Igel-Mann und Igel-Frau zu unterscheiden seien. “Der rutscht” platzte ein Junge heraus. “Der Mann rutscht?” “Nein, der Hosenträger“, entgegnete der aufmerksame Kleine. Schließlich die erlösende Erkenntnis: Ein Blick in die Hose zeigt den Unterschied.

Ein souveränes Zwiegespräch zwischen Spielern und Zuschauern, mit unglaublicher Situationskomik und herrlichem Kindermund. Endlich mußten die Kinder nicht nur ruhig sitzen, nicht  mucksmäuschenstill sein, Höhepunkt: Die kleine Katja Schulze durfte Frau Igel spielen und: “Ich bin all da” rufen. Ihr Lohn: der große Schoko-Taler des Hasen-Urgroßvaters. Den hatten die Marotte-Spieler auch verdient.

FRANK CZERWONN