Die Rheinpfalz Donnerstag, 27.10.2016

Kasperle auf Krawall gebürstet

Premiere von “Arbeitslos und Spaß dabei” im Karlsruher Figurentheater marotte

“Tri tra trulala, seid ihr alle da?” Ja, alle da. Seit mehr als Hundertjahren zeigt sich Kasperle auf der Bühne, mit Krokodil, Teufel, Hexe, dem Polizisten und der schönen Gretel. Diesmal will er im Karlsruher Figurentheater “marotte” bei der Premiere von “Arbeitslos und Spaß dabei” sein russisches Märchen “Der Wundertopf” spielen, wird aber gestört — und zwar vom Teufel.

Es ist ein glänzender, schöner Topf, aus dem alle Speisen herauskommen, die sich Kasperle wünscht. Zum Beispiel „Bratwurst, Bockwurst, Currywurst. Und Wurst.” Hmm. Aber dann wird er beim Kochen unterbrochen. Vom Teufel, der ihm ein Angebot macht, “das er nicht ablehnen kann”: Er bietet einen Koffer voll Geld, wenn der Kasperle ihn in sein Theater einsteigen lässt, Der Teufel will es modernisieren, denn seiner Meinung nach will das Publikum Kochshows und “scripted reality”.

Kasperle ist begeistert, denn der Teufel hat eine Vision: Ballermann! Essen und trinken, so viel er will. Dummerweise ist der Koffer aber noch leer. Aber der Teufel sagt ihm, wie er ihn füllen kann: indem er einfach alle entlässt — das Krokodil, die Hexe und Gretel. Gesagt, getan.

Unter Regie von Pierre Schäfer spielen Carsten Dittrich und Thomas Hänsel die klassischen Handpuppen in einem völlig unklassischen Stück. Denn was normal beginnt, mit dem russischen Märchen “Der Wundertopf” und einer vorhersehbaren Handlung, wird immer wieder unterbrochen, bis das Stück völlig aus den Fugen gerät.

Da mischt sich der Teufel als US-Präsident verkleidet und mit amerikanischem Akzent ein, Kasper hält eine Vollversammlung der Mitarbeiter ab. Die Hexe besinnt sich darauf, dass sie viel lieber Opern singen würde und beginnt gleich mit einer Arie aus “Carmen”. Der Polizist wird per Haft-Creme festgeklebt, und schließlich wirft Kasper alle raus, denn ihm gefällt die Idee von diesem “Fremd-Scheiß” (Franchise), den ihm der Amerikaner versprochen hat. Und auch das mit der “Schnippelsellerie” (“scripted reality”).

Viele der rasanten und auch hintersinnigen Gags, die nicht nur die Anglisierung der modernen Welt auf die Schippe nehmen, sondern auch das Theaterspielen an sich, basieren auf Sprachspielereien. So sagt Kasper, als er das Krokodil entlässt, noch zynisch: “Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne”, und rät ihm zur Umschulung, etwa zur Handtasche.

Die beiden Spieler jagen in hohem und präzisem Tempo durch das ironische, witzige und böse Stück, das unter all den Gags auch eine gehörige Portion Sozialkritik versteckt. Bis zum Schluss, als Hänsel sagt: “Ach, lass’ die Schauspieler nur gehen, das Jobcenter schickt sie morgen sowieso wieder vorbei – die können ja nichts anderes.”

Georg PATZER