BNN, 22.10.2018

Kleines Theater ganz groß

“Adams Äpfel” mit Sebastian Kreutz am Figurentheater marotte

Auch kleines Theater kann große Geschichten erzählen. Und einfach großartig ist es, wenn es so gelingt wie jetzt in der Adaption des dänischen Films “Adams Äpfel” im Figurentheater marotte. Da gibt es in erster Linie einen Tisch, den Schauspieler Sebastian Kreutz und zehn Figuren, je etwa 30 Zentimeter groß. Aber was Kreutz mit den Figuren macht (und die Figuren mit ihm), das ist ein Ereignis.
Die Geschichte folgt der Filmvorlage: Der Neonazi Adam landet nach einer Haftstrafe in einem Resozialisierungscamp, dass der gnadenlos optimistische Pfarrer Ivan irgendwo in der ländlichen Einöde betreibt. Adam stellt sich gegen Ivans offensive Gutherzigkeit — erst recht, als er feststellt, dass Ivans Leben ebenso gescheitert ist wie die Resozialisierungsversuche der anderen Mitbewohner Ivan aber alle Fehl- und Schicksalsschläge beharrlich leugnet. Der Konflikt schaukelt sich hoch zu einem Kampf, bei dem die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen.

“Adams Äpfel” ist eine tiefschwarze Komödie, in der existenzielle Fragen aufgeworfen werden. Sind schwere Rückschläge im Leben teuflische Versuchung, göttliche Strafe oder einfach nur dummer Zufall? Können Lügen retten und Wahrheiten vernichten? Was hilft göttliche Vergebung dem, der sich selbst nur durch Verdrängung vergeben kann?

In der Inszenierung von Friederike Krahl wird daraus das Spiel eines teuflischen Eizählers mit göttlichen Kräften

Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen

(und umgekehrt), der die Menschlein in seinen Händen gegenüberstellt, ihr Verhalten beobachtet und in ihre Haut schlüpft. Sebastian Kreutz stellt die von Matthias Hänsel markant gestalteten, Puppen wie Schachfiguren einander gegenüber, und wechselt selbst mimisch und gestisch sekundenschnell von einer Rolle zur anderen: Ivan spricht er mit händeringendem Aufforderungsgrinsen, Adam mit grimmiger Härte, den plauderfreudigen Dorfdoktor mit genießerischem Zynismus, Vom draufgängerischen Tankstellenräuber Khalid zum greisen einstigen KZ-Aufseher wechselt Kreutz punktgenau in Stimme und Mimik.

Allein dadurch kann man sich in dieser schrägen (und definitiv nicht kindertauglichen) 80-minütigen Aufführung bestens unterhalten lassen, zumal diverse technische Effekte enorm präzise eingesetzt werden, was dem Spiel sogkräftig im Fluss hält. Dennoch ist der Abend mehr als nur ein virtuoses Schauspielersolo mit Puppen, denn die Form erlaubt auch eine metaphysische Deutung: Auf dieser spielt Kreutz einen Gott, der nicht irgendwann mal für kurze Zeit Mensch geworden ist, sondern der Mensch wird — jeden Tag und in jeder seiner Kreaturen, um deren Kreatürlichkeit und Konfrontationen zu spüren. Und dessen Kraft manchmal vielleicht doch rettend eingreift, etwa wenn ein Kopfschuss eine völlig unerwartete Folge hat. Ein Abend zwischen Lachen und Bestürzung, zwischen Spannung und Staunen. Langer, sehr herzlicher Premierenapplaus.
Andreas Jüttner