BNN, 15.10.2010

Eine unsterbliche Freundschaft

“Adieu Herr Muffin”: Liebevoller Nachruf für Kinder in der marotte

Er pupste am laufenden Band. Nicht einmal beim Heiratsantrag an die geliebte Agathe blieb dieser Schluss-Akkord aus dem Hinterteil aus. Immer wieder, so sind nun mal Meerschweinchen, sagt Oma Frieda, Die Kinder auf den Rängen im marotte-Figurentheater bekullern sich vor Lachen, Dabei ist dieses neue Stück im Figurentheater wahrlich kein Brüller. Kein Schenkelklopfer. Die kleinen Zuschauer bleiben außerhalb dieser witzigen Pups-Einlagen erstaunlich ruhig. Irgendwas ist anders – heut’ tanzen keine Puppen. Es ist so still, irgendwie ist hier drinnen genauso Herbst wie draußen. Und irgendwie ist diese Oma Frieda mit ihrem Dutt und dem genauso grauen, langen, weiten Rock und ihren Pantoffeln  ziemlich gemütlich. Nein, zu lachen gibt es diesmal gar nicht so nicht viel. Aber das macht nichts. Alle sind ganz bei der Sache.

Zur Sache kommt Friederike Krahl in ihrem neuen Stück denn auch gleich ohne Umschweife. “Herr Muffin ist tot”, beginnt sie ihr Spiel, lächelt großmütterlich warmherzig und holt aus einer blau bemalten Schuh-Schachtel ihr selbst genähtes Andenken an das geliebte Meerschweinchen heraus. Herrn Muffin als Stofftier, genäht aus einem alten Mantel. “Hinten war er ein bisschen dicker und vorne war er ein bisschen dünner,” sagt sie, dreht ihn bedeutsam um, neigt liebevoll den Kopf zur Seite und gräbt ihre Hand in das Fell: “Aber am Bauch war er genauso weich.”

Und so beginnt sie einen liebevollen Nachruf: “Adieu Herr Muffin” – auf Kinderherzen zugeschrieben. Was ist das, Sterben? Was kommt danach? Wo bin ich dann? Wer einen oder eine Fünfjährige(n) – die Altersempfehlung, des Stückes – zuhause hat, den oder die diese Fragen immer wie, der umtreiben, und wer nicht so recht weiß, wie erklären, der ist in dem Stück bestens aufgehoben. Das Schöne nämlich ist: Die Frage bleibt auf angenehme Weise offen. “Sterben ist wie Verreisen, man ist einfach woanders,” schreibt Herr Muffin in seinem Abschiedsbrief an Oma Frieda. Noch kurz zuvor hatte sie ihm noch erklärt, dass man dorthin zurückgeht, wo man vor der Geburt war.

Und dort ist ja auch die geliebte Agathe seit sie von einer Biene in ihre Nase gestochen wurde, Denn Meerschweinchen haben nun mal empfindliche Nasen, sagt Herr Muffin, nein: Er beklagt es. Vermisst er doch sein Weibchen.

Ganz sanft und langsam, vor allem aber äußerst unbeschwert, nimmt Oma Frieda die jungen Besucher mit auf ihre Erinnerungs-Reise an Herrn Muffin, der sieben Jahre der sieben Jahre alt geworden ist und sechs drollige Kinder hinterlässt. Themen wie Krankheit, Alter. Abschied und Tod behandelt sie dabei so wonniglich normal, als ginge es um Kuchenbacken oder Kirschenessen. “Ich wollte ein Stück über den Tod machen. Es ist ein Stück über das Leben geworden,” schreibt die Puppenspielerin Friederike Krahl über ihre Idee. “Der Tod gehört zum Leben und macht es kostbar. Diese Erfahrung Kindern zu vermitteln ist ein Anliegen, das mir am Herzen liegt.”

Auf wenige, dafür aber umso wirksamere Utensilien setzt Krahl in ihrem einfühlsamen Nachruf-Schauspiel. Als möchte sie daran erinnern, sich gerade an den einfachen, alltäglichen Dingen zu freuen. Ob das nun die Margarite zwischen den Lippen und im Haar ist, Friedas Lieblingsblume, oder der Blick in den stillen Sternenhimmel – vielleicht wird ja ein jeder nach dem Tod zum Stern? Die Apfelschale an der Wäscheleine als beste Medizin. Oder ein Perlenohrring als Zeichen der Träne. Jedes noch so scheinbar unwichtige Ding erhält seinen besonderen Sinn in diesem sensiblen Stück, das die Trauer nicht verdrängt, aber auch eine große Portion Lust am Leben serviert.

Isabel Steppeler